Arbeitswelt Zwei Jobs, zwei Gehälter - und keiner weiß davon: Wie Homeoffice ein Doppelleben ermöglicht

Ob man in einem Meeting oder in zwei ist, ist im Homeoffice kaum nachvollziehbar (Symbolbild)
Ob man in einem Meeting oder in zwei ist, ist im Homeoffice kaum nachvollziehbar (Symbolbild)
©  svetikd / Getty Images
In der Pandemie lernten viele die Vorteile des Homeoffice zu schätzen. Ein Portal in den USA treibt die nun aber auf die Spitze - und hilft dabei, in einer normalen Arbeitswoche gleich zwei Jobs unterzubekommen.

Später aufstehen, kein Pendelstress und nach dem Mittagessen mit der Familie noch mal kurz auf die eigene Couch können: Das Homeoffice bietet gegenüber dem klassischen Büro einige Vorteile. Und auch, dass der Chef nicht immer über die Schulter schaut, wissen viele der Heimarbeiter zu schätzen. Einige treiben diesen Vorteil aber auf die Spitze - und arbeiten in der regulären Bürozeit gleich für zwei Unternehmen gleichzeitig.

"Es sind zwei Jobs in einem", berichtet ein anonymer Programmierer aus den USA dem "Wall Street Journal". Er arbeitete bei einem Medien-Unternehmen und hatte es früher geschafft, seine eigentliche Arbeit in drei bis zehn Stunden die Woche zu erledigen. "Der Rest besteht daraus, bei Meetings anwesend zu sein und beschäftigt zu wirken", erklärt er seine Entscheidung, seit Juni quasi nebenbei noch einen zweiten Vollzeitjob bei einer Event-Firma zu bestreiten.

Zwei Jobs, zwei Gehälter

Er ist nicht alleine. Der Wirtschaftszeitung gelang es, gleich mehrere Personen ausfindig zu machen, die es dank Homeoffice schafften, zwei Vollzeitjobs unter einen Hut zu bekommen. Und das, ohne unbedingt mehr arbeiten zu müssen: Viele würden nach eigenen Angaben selbst in zwei Jobs nicht mehr als 40 Stunden die Woche mit Arbeit verbringen, erzählten sie dem "Journal". Trotzdem hätten die Befragten in der Regel zwischen 200.000 und 500.000 Dollar im Jahr für die beiden Jobs kassiert. Allerdings hätten einige dafür auch 100 Stunden die Woche gearbeitet.

Möglich wird das Doppelleben durch die Vorzüge des Homeoffice. Während es früher nahezu unmöglich gewesen wäre, auch nur mehrere Meetings an einem Tag in zwei verschiedenen Firmen zu haben, ist das mit Videokonferenzen von Zuhause aus kein Problem mehr. Sie würden Tetris im Kalender spielen, um die Termine der beiden Jobs zu koordinieren, berichteten die heimlichen Zweitjobber. Wenn es hart auf hart käme, müsste man eben mal in zwei Terminen gleichzeitig sein. Solange man nur anwesend sein muss, sei das kein Problem. Sollte ein Projekt mal mehr Zeit in Anspruch nehmen, kann man sich ja immer noch im anderen Job frei nehmen. 

Warum kündigen?

Die meisten rutschen eher aus Versehen in den zweiten Job. Ein Angestellter hatte sich etwa einen neuen Job gesucht, nachdem es in seiner Firma zu Kündigungen kam. Er bewarb sich auf eine Stelle, bekam sie auch. Als er kündigen wollte, dachte er sich: Warum eigentlich? Und behielt einfach den zweiten Job nebenbei. Bei anderen hat sich die Masche längst zur Strategie entwickelt. Einmal versehentlich zwei Jobs jongliert, stellen sie fest: Das klappt. Und suchen mittlerweile gezielt eine zweite Stelle, wenn es bei einer nicht weitergeht.

Als sie zurück ins Büro geholt worden sollte, kündigte eine Angestellte, die vorher parallel für ein Versicherungs- und ein Telekommunikations-Unternehmen gearbeitet hatte. Und ersetzte schnell die Stelle mit einem anderen Zweitjob. "Ich bin nun im Vorteil", ist sie überzeugt. Mittlerweile hilft ihr ein Assistent, die Termine zwischen den Jobs zu managen, nimmt Telefonate an, um sie vorwarnen zu können, wenn sie verlangt wird. "Versuche ich ein Top-Angestellter zu sein? Eigentlich nicht. Ich mache jeden der Jobs nur so, dass ich nicht gekündigt werde", gibt sie zu.

Tipps von den Experten

Die Einstellung scheint es bei vielen der doppelt Angestellten zu geben. Sie hätten das Gefühl gehabt, die Firma verlange Loyalität, bringe sie den Angestellten aber nicht entgegen, so der Eindruck der "WSJ"-Autoren. "Wenn es hart auf hart kommt, ist man eben nur eine Nummer von vielen", glaubt einer. "Es heißt, wir hätten einen freien Markt. Ich sorge nur dafür, dass ich meinen Anteil bekomme."

Gemeinsam mit einem Freund richtete er eine Seite ein, die anderen Tipps gibt, wie man den anderen Job vor dem jeweiligen Arbeitgeber geheim hält. So stellte er schnell fest, dass man Terminanfragen auch einfach ablehnen kann - ohne dass es Folgen hätte. Wenn man doch in einem Meeting ist, sollte man sich aber auch zu Wort melden. Und sei es mit einer Wiederholung etwas zuvor Gesagten in anderen Worten. Dabei muss man natürlich darauf achten, sich im zweiten Meeting rechtzeitig stumm zu stellen. Und natürlich sollte man immer eine Ausrede parat haben, warum man schnell das Meeting verlassen musste, wenn man im anderen sprechen muss. Ebenfalls wichtig: Man sollte nicht zu ambitioniert sein und lieber unauffällig bleiben. Schließlich will man nicht unnötig befördert werden.

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Die Angst im Nacken

Tatsächlich hatten alle Befragten ähnliche Strategien bereits selbst entwickelt, fand das "WSJ". Idealerweise arbeitet man an zwei Laptops, passt die Fenster farblich an, um immer gleich zu wissen, für welchen Job man gerade arbeitet. "Man muss physisch hin und her wechseln, das trainiert den Kopf so, dass er immer weiß, ob man gerade in Job 1 oder Job 2 ist", rät einer der Doppeljobber. Es werde auf Dauer einfacher. "Ich kann viel besser als früher zwei Dinge gleichzeitig hören und verarbeiten." Auch auf Chat-Tools wie Slack zu verweisen, statt zu telefonieren oder ein digitales Meeting zu vereinbaren, sei hilfreich. "Leute denken dann: Der bekommt etwas gebacken, statt Zeit in Meetings zu verschwenden."

Natürlich führt das Doppelleben zu einer ständigen Angst, erwischt zu werden. Anekdoten, in denen es knapp war, hätten viele zu erzählen gehabt, so der Bericht. Mal sei ein Mikro offen gewesen und ein paar Sekunden lang hätten die Teilnehmer des einen Meetings das parallel stattfindende zweite hören können, mal gab es Ärger, weil zu viel Arbeit unerledigt geblieben war. "Man denkt jeden Tag: Heute erwischen sie mich", gesteht ein Befragter seine Paranoia.

Vertragsbruch statt Straftat

Rechtliche Folgen drohen dadurch nicht zwingend. In den USA wie auch hierzulande ist das Arbeiten in zwei Jobs parallel nicht grundsätzlich verboten, es ist eine Frage des Arbeitsvertrags, ob man sich dafür eine Genehmigung vom Arbeitgeber holen muss. In den USA würden selbst dann höchstens arbeitsrechtliche Strafen drohen, erklärte ein Anwalt der Zeitung. In Deutschland könnten zusätzlich Probleme durch das Arbeitszeitgesetz hinzukommen.

Tatsächlich fällt manchen Arbeitgebern durchaus auf, wenn einer der Angestellten ein doppeltes Spiel treibt. Chris Hansen berichtet etwa, dass während seiner Zeit bei einem Start-up ein frei arbeitender Entwickler immer schwer zu erreichen war und bei Meetings nicht auftauchte. Irgendwann stellte sich heraus, dass er seinen vorherigen Job einfach weitergemacht hatte, statt wie vereinbart zu kündigen. Hansen entschied sich, ihn nicht zu melden. Er hatte Verständnis dafür, dass der freie Mitarbeiter sich ohne Jobsicherheit nicht voll für die Firma entscheiden wollte. "Welchen Anreiz hat man denn, ehrlich zu sein? Es gibt zwischen Angestelltem und Arbeitgeber einfach keine Loyalität."

mma